Foundation of Bernstein Center for Computational Neuroscience Tübingen

BMBF stellt acht Millionen Euro für Tübinger Bernstein-Zentrum zur Erforschung der Sinneswahrnehmung zur Verfügung. Press release in German.

Prof. Dr. Matthias Bethge, Koordinator des Tübinger Bernstein-Zentrums für Computational Neuroscience; Bild: Anne Faden/Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik

Tübingen. Wir sehen nur ein graues, abgerundetes Stück Plastik unter der Zeitung hervorlugen – und trotzdem wissen wir sofort, dass wir das Handy endlich gefunden haben. Unser Gehirn verrechnet die von den Augen gelieferte Sinnesinformation mit Erfahrungswerten und kann so die fehlende Information problemlos ergänzen. In einem komplexen Verarbeitungsprozess vergleicht es das Vorwissen über die physikalische Beschaffenheit der Welt mit den aufgenommenen Signalen. Die Wissenschaftler am neu gegründeten Tübinger Bernstein-Zentrum für Computational Neuroscience (theoretische Neurowissenschaften) wollen herausfinden, wie diese Vorgänge im Gehirn ablaufen. An dem Zentrum sind Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für biologische Kybernetik und der Universität Tübingen beteiligt, darunter das Werner Reichardt-Centrum für Integrative Neurowissenschaften, außerdem das Universitätsklinikum Tübingen sowie das Hertie-Institut für klinische Hirnforschung. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unterstützt das Zentrum mit rund acht Millionen Euro.

Das neue Forschungszentrum ist Teil des bundesweiten Bernstein-Netzwerks „Computational Neuroscience“, das im Jahre 2004 ins Leben gerufen wurde und dem mittlerweile rund 200 Arbeitsgruppen an 20 verschiedenen Standorten angehören. Koordinator des Tübinger Bernstein-Zentrums ist Matthias Bethge, Wissenschaftler am Institut für Theoretische Physik der Universität Tübingen und am Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik. Bethge erhielt bereits 2006 den renommierten „Bernstein-Preis für Computational Neuroscience“ und ist seitdem Mitglied des nationalen Bernstein-Netzwerks. 

„Perzeptuelle Inferenz" nennen Wissenschaftler die Fähigkeit des Gehirns, Sinnesinformationen und Vorwissen zu einer schlüssigen Wahrnehmung unserer Umwelt zu kombinieren. Die Tübinger Forscher untersuchen, wie das komplexe Zusammenspiel vieler Zellen im Gehirn diese Leistung hervorbringen und Unsicherheiten aus den visuellen Eingangssignalen heraus rechnen kann. Welches Vorwissen ist nötig, um die Welt, die wir sehen, zu verstehen? Wie wirkt sich dieses Wissen auf die Sinneswahrnehmung aus? Wie wird Vorwissen im Gehirn gespeichert und wieder abgerufen? „Die Tatsache, dass unser Gehirn solche Probleme scheinbar mühelos löst, ist umso bemerkenswerter, als dass es bis heute keine Computeralgorithmen gibt, die auch nur annähernd an diese Leistung herankämen", sagt Bethge. 

Die Tübinger Wissenschaftler konzentrieren sich hauptsächlich auf die visuelle Wahrnehmung, wollen aber auch verstehen, wie die unterschiedlichen Sinnessysteme zusammenarbeiten, um ein möglichst realistisches Bild der Umwelt zu erzeugen.

Um das Rätsel der Sinneswahrnehmung zu lösen, nutzen die Forscher neuartige experimentelle Techniken, mit denen sie die Aktivität von großen Gruppen von Nervenzellen gleichzeitig und sehr genau messen können. Aufbauend auf theoretische Studien und mit Hilfe von neuen Datenanalyseverfahren sollen diese Ansätze dazu genutzt werden, grundlegende Prinzipien der neuronalen Kodierung und der Inferenzprozesse zu entschlüsseln. Außerdem wird ein tieferes Verständnis darüber, wie unser Gehirn eine schlüssige Wahrnehmung der Umwelt erzeugt, neue klinische und technologische Anwendungsmöglichkeiten eröffnen, zum Beispiel im Bereich des maschinellen Sehens oder in der Entwicklung und Verbesserung neuronaler Sinnesprothesen.


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